Lilith

Mein Name ist Lilith (das ist jetzt bereits mein „erfundener2 Name“), ich bin 41 Jahre alt, in einer Beziehung und habe einen erwachsenen Sohn. Aufgewachsen bin ich teils in Deutschland, teils in Österreich in einer sehr sozialen, künstlerischen Familie zwischen zwei Brüdern. Ich bin ausgebildete Grundschullehrerin und Mentaltrainerin, habe jedoch in beiden Berufen nicht gearbeitet. Recht früh schon habe ich mich für andere Kulturen interessiert und viele Jahre Projekte für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge geleitet. Mit der EU-Osterweiterung wurden diese Projekte in Österreich jedoch eingestellt und ich wurde erstmals arbeitslos. In dieser Zeit entdeckte ich meine künstlerische Ader. Ich malte und schrieb, bis mir meine Beraterin im Arbeitsamt einen Job im selbigen anbot. Spontan sagte ich zu und arbeite aktuell als Leiterin eines Teams in der telefonischen Beratung für arbeitsuchenden Menschen und Unternehmen. Dieser berufliche Wechsel stellte für mich eine große Herausforderung dar. Ich erlebte einen persönlichen Wandel zwischen einer recht freien Projektwelt und einer sehr restriktiven Welt aus Paragrafen, Hoheitsgewalt und Überstruktur. Ich bin für beide beruflichen Erfahrungswelten und natürlich auch für das gesamte Konvolut meiner familiären und sozialen Erfahrungen sehr dankbar, da ich sie als Spiegel meiner Selbst wahrnehme. Ich spiegle mich in dem, was mir die Welt zeigt und in dieser Selbsterkenntnis lerne ich mich und meine Grenzen kennen. Was das mit meiner Hochsensibilität zu tun hat? Ich habe gemerkt, dass meine hohe empfindsame Wahrnehmung im künstlerischen, kreativen Ausdruck ein reines Geschenk ist. In der gesamten Palette der sozialen Beziehungen situationsbedingt ein Fluch oder ein Segen sein kann, da tiefes emotionales und sensorisches Empfinden eine unaussprechlich schöne Tiefe erreichen können, Tiefen jedoch auch Abgründe sein können. Im Bereich des öffentlichen Dienstes muss man als hochsensibler Mensch allerdingst schon sehr selbsterfahrungswillig sein oder das eigene existentielle Sicherheitsbedürfnis für einen Moment über viele andere Ansprüche stellen. Für mich gilt ein bisschen beides 🙂

Meine Hochsensibilität und ich haben eine ganz eigene Beziehung miteinander. Es gibt Momente, in denen ich sie so abgöttisch bedingungslos liebe, weil diese tiefe Wahrnehmung einen unglaublich erfüllenden Zustand erreichen kann. Es gibt aber auch Momente – und ich gebe ehrlich zu, dass das die häufigeren sind, da mag ich sie ins Exil stellen, auf den hinterletzten Mond verbannen, ins Gefängnis stecken oder einfach unsichtbar werden lassen. Optimal wäre die Möglichkeit, die Hochsensibilität ein- und ausschalten zu können. Das hat der Schöpfer, die Schöpferin oder die Genetik so aber leider nicht eingeräumt. Wenn ich meine Partnerin, die Hochsensibilität, beschreiben müsste, dann ist sie der Teil von mir, mit einer sehr intensiven, intuitiven, tiefen, sensorisch gesteigerten Wahrnehmung. Ja, und dieser Teil IST einfach. Man kann die Hochsensibilität, weil sie ja immer wieder sehr anstrengend und fordernd ist, auch nicht „wegbekommen“, verdrängen, unterdrücken, betäuben oder ignorieren. Das heißt, man kann das schon :-), aber das ist nicht sehr nachhaltig positiv wirksam! Also liegt der Weg schon recht klar auf der Hand. Mach sie zu Deinem Partner/Deiner Partnerin.

Ich habe mir auf diesem Weg den Gelassenheitsspruch von Friedrich Christoph Oetinger sehr zu Herzen genommen:

Gott, gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden. Gott, gebe mir die Geduld mit Veränderungen, die ihre Zeit brauchen,

und Wertschätzung für alles, was ich habe. Toleranz gegenüber jenen, mit anderen Schwierigkeiten und die Kraft, aufzustehen und es wieder zu versuchen –

Wie ich meine Hochsensibilität entdeckte

Wie kam ich eigentlich darauf, dass ich hochsensibel sein könnte?

Eines Tages postete eine ehemalige Schulkollegin einen Beitrag über Hochsensibilität auf Facebook. Ich habe ihn jedoch nicht gleich gelesen, da ich zu dieser Zeit in Bezug auf Lebenshilfebücher, Ratgeber, Fachartikel schon sehr übersättigt gewesen bin. Es ist eine Zeit gewesen, in der ich schon ganz bewusst nicht mehr hinschauen und hinfühlen wollte, da es nach unzähligen „Trial und Error-Wiederholungsschleifen“ zur Lösung meines Problems „eh nichts brachte und bringt.“ Einige Wochen darauf besuchte mich eine andere Freundin. Sie war aufgrund einer gescheiterten Beziehung ganz aufgelöst und erzählte mir an diesem langen Abend davon, dass es ihr immens schwer fällt mit emotional tiefgehenden Situationen zurecht zu kommen, sie sei einfach zu „zart besaitet“ und erzählte auch von einem gleichnamigen Buch. Auch hier habe ich in meiner Auseinandersetzungsresignation noch nicht gleich reagiert. „Zufällig“ – beim Anklicken eines falschen Links – stieß ich im Internet auf einen Fragebogen zum Thema Hochsensibilität. „Wenn sich das Thema schon so aufdrängt,“ dachte ich, „schaue ich mir den Fragebogen eben einfach einmal an“ – eher widerwillig, als neugierig. Wow, ich konnte beinahe jede Frage mit der vollen Punktezahl beantworten. In diesem Moment ist mir nicht nur die Farbe aus dem Gesicht gewichen, auch ein Stein fiel vom Herzen, die obligatorische Fehlspannung in meinem ganzen Körper entschied für eine Minute tiefenentspannt zu sein, ums Herz wurde es arm und weich und Tränen strömten über mein Gesicht!

Und dann fielen mir völlig unverhofft zwei sehr klare Momente ein, in denen ich schon einmal die Information erhielt, dass mein „Sosein“ nicht pathologisch ist. Vor gar nicht so langer Zeit entschied ich mich für eine Aufstellungsarbeit. Dabei ging es um meine „Lebensziele“. Ich stellte in diesem Zusammenhang auch meine Ressourcen – meine Förderer, und meine Blockaden – meine Verhinderer. Da es sich um eine verdeckte Aufstellung handelte, wussten die Statistinnen nicht, wen oder was sie darstellen. Zu meinen subjektiv schwierigsten Verhinderern gelten die ANGST und die teilweise massiven PSYCHOVEGETATIVEN KÖRPERSSYMPTOME. Mein definites Lebensziel war/ist die Freiheit – das frei sein von körperlichen und psychischen Symptomen. Da stand also die Freiheit mit einer Tafel Schokolade in weiter Ferne und lockte mich mit der gesamten Kunst der Verführung in ihre Richtung und ich stand wie angewurzelt, starr, unbeweglich und kopfschüttelnd da und hatte keine Idee, wie ich nur ansatzweise in diese Richtung gehen kann. Dich neben mir die Angst und über mir die körperlichen Symptome. Genau so fühlte ich mich auch! Was sich im Laufe dieser Aufstellung entwickelte, hat für mich zur Vollendung der Verwirrung geführt. Das Ergebnis: Die Angst ist mein engster Verbündeter, ich kann mich sogar an ihr Anlehnen, Geborgenheit erfahren und Halt bekommen, die körperlichen Symptome haben eine Art „Schutzengelfunktion“ in meinem Leben. Als ich in der Aufstellung diese beiden unliebsamen Verhinderer als meine Verbündeten annehmen konnte, marschierte ich federleicht, ohne Umschweife und Zögern geradewegs in die Arme der Freiheit. „So ein Blödsinn!“, dachte ich. Wie soll ich Angst und körperlich unangenehme, bedrohliche körperliche Symptome als meine Freunde und engsten Begleiter verstehen. Und so schon ich dieses Ergebnis enttäuscht, verärgert und verständnislos weg von mir. Und trotzdem gab es da einen Anteil in mir, der mir immer wieder laut in meinem Unbewussten einflüsterte: „Das stimmt aber! Das stimmt aber!“

Eine zweite Erfahrung hatte mich auch schon in diese Richtung blicken lassen. Mir wurde ein Institut empfohlen, das sich seit Jahrzehnten mit dem Imedis-System beschäftigt. Ein in Russland entwickeltes Gerät, das durch die Resonanz von Schwingungen im Körper Aufschluss auf Stärken und Schwächen des menschlichen Systems liefern kann. Damals sagte mir die Therapeutin: „Ich kann keine Hinweise auf ein psychiatrisches Krankheitsbild finden. Auffällig ist, dass ihre Zellen sehr schnell und präzise auf alles um sie herum reagieren. Sie scheinen trotz ihrer immensen inneren Stärke eine sehr, sehr dünne Haut zu haben. Sie gehören zu den Menschen, die in großen Menschenansammlungen einfach nichts zu suchen haben!“

Ich bin ich mich gegangen und habe erforscht, woran ich eine Hochsensibilität in meinem Leben eigentlich festmachen kann:

Die Herausforderungen meiner Hochsensibilität

Wenn ich in meinem Leben zurückschaue und nach Momenten suche, die auf eine Hochsensibilität zurückzuführen sind, werde ich schnell fündig. Als kleines Mädchen war ich sehr schüchtern und zurückhaltend. Meine Eltern führten eine sehr angespannte Ehe, was meist an festlichen Familienfeiertagen besonders stark zum Tragen kam. Nach außen sah das in etwa so aus: Meine Mutter stresste durch die Teilschritte zur Perfektion eines heiligungswürdigen Abends (Christbaum aufputzen, Kugeln polieren, Kekse backen, Weihnachtslieder aussuchen, Kochen, Putzen, Räucherkegel platzieren, Geschenke strategisch von den Kindern abschirmen, etc.), mein Vater saß in seinem Arbeitszimmer und erschien mit dem Chistkindglockenläuten und wirkte eher ein bisserl verloren, deplatziert und abwesend. Meine Mutter versuchte den Stress wegzulächeln und um Vermeidung jeglicher möglichen Eskalation. Während meine beiden Brüder dies überhaupt nicht so wahrnahmen und vom Christkind, den duftenden Keksen, weihnachtlicher Musik, glänzenden Kugeln geblendet waren, saß ich beinahe JEDES Jahr mit einem dicken Anginahalswickel vor dem Christbaum und fand das Fest nur mittelprächtig andächtig. Nach der Scheidung hat mir meine Mutter bestätigt, dass sie sogar für den Papa auf den Päckchen unterschrieben hat und er sich auch nie an die Geburtstage der Kinder erinnerte. Meine Angina war der perfekte Ausdruck unausgesprochenen Spannung, die Äußerung des Unausgesprochenen, quasi. Das zog sich genau so weiter. Vor einer unliebsamen Mathematikschularbeit bekam ich eine Gastritis, mit 11 Jahren erhielt ich für jeder Prüfung ein homöopathisches Mittel gegen Lampenfieber, während meiner Ausbildung zur Grundschullehrerin, die sehr verschult und restriktiv gewesen ist, wurde ich laufend ohnmächtig, in meiner Ausbildung zu Mentaltrainerin, wo ich vieles noch nicht so verstehen konnte wie heute, litt ich regemäßig unter Sehstörungen und einer Augenmigräne, als ich mich in meinem Lebensgefährten verliebt und die ersten Jahre der Fernbeziehung eine große emotionale Herausforderung darstellten, bekam ich massive Herzrhythmusstörungen (ventrikuläre Extrasystolen). Diese Liste kann ich lange fortführen. Ich scheine also sämtliche wesentlichen äußeren und inneren Prozesse in eine Art körperliche Symptomatik zu übersetzen. Das ist ganz schön anstrengend! Mein Anderssein habe ich auch schon sehr früh und sehr deutlich anhand weiterer Faktoren erkannt. An meinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn zum Beispiel. Ich kann es nicht hören, wenn jemand ein Kind anschreit, ich kann keinem Bettler und keiner Bettlerin auf der Straße in die Augen schauen, ich kann keinen Rassismus begreifen, der darauf begründet ist, dass man eben zufällig auf der Schokoladenseite der Erde geboren ist, ich kann keine Menschen riechen, die aus Profitgier mit der Gutmütigkeit anderer Menschen spielen, etc. Ich möchte dann sofort, das angeschriene Kind in den Arm nehmen, dem Bettler, der Bettlerin eine adäquate Arbeit besorgen oder zumindest ein Umfeld, das die Grundbedürfnisse erfüllt, den Rassisten/die Rassistin umarmen und spüren lassen, das Geborgenheit nicht durch Ausgrenzung entsteht, sondern durch Bedingungslosigkeit und dem gutmütigem Menschen erklären, wie Manipulation funktioniert und dass man im Leben auch ganz leicht „NEIN!“ sagen darf. Neben dem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn kommt noch eine zutiefst ausgeprägte Unfähigkeit für Loyalität dazu. Maximal schlage ich mich wegen des Gerechtigkeitssinns auf die Seite des/der aktuell Schwächeren.

Wenn zwei Menschen in meinem Umfeld in einem Konflikt sind und ich höre mir beide Seiten an, kann ich sofort die subjektive Wahrheit beider erfassen. Dieses Mitfühlen stellt sich umgehend über meine Urteilsfähigkeit. Als meine Eltern sich scheiden ließen und meine Mutter in mir die weibliche Verbündete im Kampf gegen die Verletzungen, die mein Vater durch seine Abwesenheit und letztendlich seinen unangekündigten Auszug angerichtet hat, konnte ich das nicht. Ich konnte diese Rolle jedoch nicht einnehmen – klar liebt ein Kind immer beide Elternteile, aber ich konnte neben dem Schmerz meiner Mutter, die sich für die Familie beinahe aufgeopfert hat, auch meinen Vater verstehen. Familie war und ist nicht sein Lebenskonzept. Als Regisseur spielt sich sein Leben auf der Bühne ab und nicht im realen Leben. Ich habe sein Sein, seine Entscheidung und seine Klarheit akzeptiert und bin mittlerweile die Einzige in der Familie, die noch Kontakt zu ihm hat. Das Gleiche passiert, wenn zwei Freundinnen von mir streiten, es im Büro Auseinandersetzungen gibt oder Nachbarn nicht immer derselben Meinung sind. Ich fühle ich dann immer als Übersetzerin der jeweils subjektiven Wahrheit in die Sprache des anderen und umgekehrt. Das ist natürlich nur dann erfolgreich, wenn die subjektive Wahrheit verstanden werden will und das Ziel eine Einigung ist. Ich kann also ganz blitzschnell erkennen, wo ein Mensch in seiner Entwicklung in der Dynamik ist und wo nicht.

Und ganz ehrlich, bei mir selbst – obwohl ich viel dafür tue – kann ich das nicht. Es ist, als könnte ich Menschen und Situationen scannen, aber nicht mich selbst und Situationen, in denen ich unmittelbar beteiligt bin, da ich diese Betrachtungsdistanz aufgrund meiner emotionalen Beteiligung nicht schaffe.   Ganz oft will ich mich gar nicht einmischen oder angesprochen werden, ich kann aber keine Loyalität vorspielen, wenn mein Gehirn nur in der Lage ist, eine gewisse Gesamtheit der Situation wahrnehmen zu können. Es ist wie ein unbewusstes Wissen darüber, dass es keine „Schuld“ gibt, „Schuld“ resultiert immer aus einer ausgesprochenen oder unausgesprochenen Erwartungshaltung, einer daraus resultierenden Bewertung und Enttäuschung dieser Erwartungshaltung. Eine gewisse Offenheit in Bezug auf Loyalität kann ich für mich jedoch dann erkennen, wenn einem Menschen oder einem Tier willentlich und wissentlich Leid zugefügt wird. Und selbst da kann ich oftmals nachvollziehen, was in dem Leben dieses Menschen oder einer ganzen Gesellschaft passiert sein muss, dass es zu solchen Handlungen kommen kann.

Ein weiter Punkt, den ich schon immer kenne ist, dass ich fühle, was in einem bestimmten Umfeld gerade emotional passiert. Ich kann es nicht immer gleich benennen, doch ist mein Körper ein sehr sensibles Messgerät. Es können glücklich wirkende Menschen in einem Raum sein und sich fröhlich zuprosten, wenn eine Spannung da ist, macht sich mein Körper bemerkbar, daraufhin schärfen sich meine Sinne noch mehr und ich plötzlich erkenne ich den eifersüchtigen Blick, die Traurigkeit in den Augen, den geschluckten Ärger, die eingefallenen Schultern, die narzisstische Pose und das Zusammenspiel. Es ist ein Lesen zwischen den unbewussten Zeilen.

Ein weiter Aspekt ist die sensorische Wahrnehmung. Das Gefühl, dass alles schnell einmal zu viel ist. Auf einem schneebedeckten Berg mit Sonnenschein oder bei einem entgegenkommenden Fahrzeug in der Nacht, sehe ich gar nichts mehr, laute Filme, Computerspiele oder Baustellen – ein Alptraum, manchmal räume ich 2 Mal am Tag den Kühlschrank aus, weil ich bei diesem Geruch überzeugt bin, dass da ein verdorbenes Lebensmittel sein muss – finde aber nichts – ebenso kann ich kaum an einer Lüftungsanlage eines Gasthauses vorbei gehen und den Geruch von Frittier-Fett einatmen. Viele Menschen an einem Platz vermeide ich wo ich nur kann.

Am intensivsten nehme ich jedoch das vegetative System meines Körpers wahr. Es gibt Momente, wo es draußen unverhofft donnert und ich lesend am Sofa liegend beinahe zum Stehen komme, weil ich mich adrenalindurchflutet fühle, als würden 1000 Nadeln in meinen Körper stechen. Es gelingt mir kaum, meinen Körper im Wachzustand in eine lebbare Ausgeglichenheit von Spannung und Entspannung zu bringen. Ich fühle mich fehlgespannt, und kann auch eine gewisse psychosomatische Wandersymptomatik erkennen, die sich um meine Körpermitte bewegt. Der Magen ist flau, mein Solarplexus fühlt sich tief verwundet an und schmerzt, als könnte er weinen, ein Stein liegt auf meinen Brustkorb, jemand umfasst mein Herz und drückt zusammen, sodass es aus seinem Rhythmus kommt, ich kann nicht atmen, manchmal auch nicht gerade stehen, dann kauere ich mich sitzend zusammen (auch beim Essen oder Arbeiten zuhause) und versuche meine Körpervorderseite zu schützen. Ich bemerke einen Kloß in meinem Hals und kann kaum schlucken, meine Muskeln verkrampfen sich und finden kaum in die Entspannung – oftmals wissen sie gar nicht mehr, was Entspannung eigentlich ist.

Jetzt schreibe ich die ganze Zeit darüber, wie herausfordernd meine Hochsensibilität für mich ist, aber kaum darüber, dass sie auch eine ganz besondere Gabe sein kann:

Meine Hochsensibilität als Gabe

Wenn ich in einer Wiese liege, die Sonne durch meine geschlossenen Augen leuchtet, ich die Erde unter mir so spüre, als umarmte sie mich, die Vögel zwitschern und eine ganz zarter Windhauch durch meine Haare zieht, sodass mich dieses Spüren so einnimmt, dass ich keinen Gedanken denken kann, dann ist das ein Geschenk!

Wenn ich in den Armen meines langjährigen Freundes liege, abends nach einem langen Tag auf der Couch, meinen Kopf an seine Schulter lege, seine sanften Berührungen – stille, absichtslose, beinahe unbewussten Berührungen – und seinen Atmen auf meiner Haut spüre, und ich mich genauso fühle wie an dem Tag, an dem wir uns das erste Mal geküsst haben, dann ist das ein Geschenk!

Wenn ich in einen Raum komme, in dem die Spannung knistert, weil sich zwei Menschen nicht sagen, was gesagt werden sollte, aber es nicht aussprechen können, was ich schon fühlen kann, und nach dem folgenden Sturm die Luft wieder rein wird und die Stimmung klar und dann noch jemand „Danke!“ sagt, dann ist das ein Geschenk!

Wenn ich meine Mitarbeiterin anspreche, ob alles ok ist, und ich genau sehe, dass das nicht stimmt und ich sie daraufhin einlade, dass sie gerne auch später kommen kann, wenn sie darüber sprechen möchte – sie dann auch wirklich kommt und wir das Problem gemeinsam angehen können, dann ist das ein Geschenk!

Wenn ich mich auf den Boden lege und Musik höre und dabei jede einzelne Note in meinem Ohr in meinem Gehirn zu einem harmonischen Fest erwächst und das Vibrieren des Basses (nein, ich höre nicht sehr laut Musik ;-)) meinen Körper sanft schaukelt bis mir die Tränen über die Wangen laufen, dann ist das ein Geschenk!

Wenn ich am Abend spaziere gehe und eine Katze auf mich zukommt, ich mich bücke und sie streichle bis sie sich vetrauensvoll und ganz samt an mich schmiegt und für diesen kurzen Moment eine ganz sanfte Beziehung zwischen zwei unbekannten Seelen entsteht die mich tief berührt, so ist das Geschenk!

Es gibt viele solcher Geschenke des Momentes. Und auch Fähigkeiten, die aus dieser Sensibilität erwachsen, die nachhaltiger sind. Wenn meine FreundInnen mich beschreiben, dann würden sie sagen: „Warmherzig, tiefsinnig, empathisch, hilfsbereit, mitfühlend, kreativ.“  Ok, sie sagen auch „eigensinnig, freiheitsliebend, überperfektionistisch, übersensibel und manchmal sogar ein bisserl kleinkariert und detailverliebt!“ Stimmt wohl beides 😉

Also, ist das alles jetzt ein Fluch oder Gabe? Ich weiß es nicht. Jede Medaille hat zwei Seiten, die einfach nebeneinander existieren.

Therapie und Coaching

Erfahrungen

Hochsensibilität ist ja im Grunde nichts Exotisches, es ist einfach eine tiefere, intensivere Wahrnehmung als das, was als Durchschnitt definiert wird. Vom wem eigentlich? Wahrscheinlich, wäre mir diese Gabe/dieser Fluch gar nicht aufgefallen, wenn wir nicht in einer Gesellschaft leben würden, die sehr merkwürdige Parameter aufstellt. Die Gesellschaft erwartet einen Beitrag. Dieser Beitrag wird durch eine gewisse Leistung, die wir in einer vorgegebenen Hamsterradperformance abliefern müssen, gemessen. Wer nicht mitkommt, hat ein Defizit und erhält sogenannte fremddefinierte, anerkannte Maßnahmen, um wieder in dieses Spiel eingegliedert werden zu können. Diese Wiedereingliederung ist, wirtschaftlich gesehen, ein lukrativer Teil des Spieles. Um diese Wiedereingliederung flächendeckend umsetzen zu können, braucht es eine Struktur. Komischerweise versucht man dann den Menschen einer Schublade dieser Struktur zuzuordnen und wenn das erfolgt ist, gibt es ein vordefiniertes Maßnahmenpaket zur Behebung dieses Mangels. Wenn man ich keine dieser Schubladen passt, ist das für das System sehr problematisch und man versucht – wie die Stiefschwestern Aschenputtels – das Individuum mit Krampf und Druck zu schubladisieren (diagnostizieren).

Das klingt jetzt ein wenig zynisch, aber ich habe es eine lange Zeit lang so erlebt. Im Jahre 2005 ging es mir gesundheitlich nicht gut. Ich hatte undefinierbare körperliche Symptome, die immer schlimmer wurden. Das ging so weit, dass ich nur noch gezittert habe, mich in der Arbeit nicht mehr konzentrieren konnte und ich es morgens kaum noch aus dem Bett schaffte. Ich fühlte mich nicht depressiv, nicht ängstlich und geistig nicht besonders erschöpft. Ich ging zu meiner Hausärztin und beschrieb ihr meine Symptome. Ich muss dazu sagen, dass es offensichtlich einen Anteil in mir gibt, der es in solchen Situationen nicht zulässt, meine momentanen Emotionen offen zu zeigen. Ich habe also nicht weinend, verzweifelt und hilflos vor meiner Ärztin gesessen, sondern versucht reflexiv und analytisch die Situation zu schildern. Nach einer Odyssee an unterschiedlichen fachärztlichen Untersuchungen bin ich schließlich mit einem Fläschchen Passionsblütenextrakt und der verbalen Bestätigung, dass ich voll arbeitsfähig bin, wieder nach Hause geschickt worden. Ich arbeite ja auch sehr gerne und so quälte ich mich weitere Wochen täglich ins Büro. Ich arbeitete zu diese Zeit mit unbegleiteten, minderjährigen AsylwerberInnen – ein schöner und auch anstrengender Beruf. Dann überfiel mich aus dem Nichts eine Panikattacke – einmal im Auto und einmal ich einem Restaurant. Ich rief meine Ärztin an – wie gewohnt sachlich und förmlich – die mir empfahl den Passionsblütenextrakt regelmäßiger einzunehmen. Eine Woche später wurde es so schlimm, dass ich meinen Koffer packte, zu Fuß in die Psychiatrie ging und mich einweisen lassen wollte – „…denn wenn ich kerngesund bin, muss ich wohl ein schlimmer Hypochonder sein“, dachte ich. Der Facharzt lachte und meinte: „Für eine Einweisung haben sie mir definitiv zu viel Selbsthilfepotenial!“ Er entließ mich nach Hause in den Krankenstand und verschrieb mir Psychopharmaka. Diagnose: Erschöpfungsdepression. Die Medikamente verschlimmerten den Zustand weiter und so suchte ich eine Therapeutin auf. Ich konnte mir zu der Zeit keine Therapie leisten und so erstellte sie eine umfassende Diagnose, um einen Kassenplatz ansuchen zu können. Da saßen wir also mit dem dicken „Wälzer der Diagnosen“ beisammen und ackerten uns durch Listen von Symptomatiken. Das Ergebnis sollte eine klare Diagnose sein. Für eine Depression zu lebensfroh, für eine Angststörung zu mutig, für ein Burnout noch zu agil und auf Halluzinationen, Psychosen, Autoaggression oder Borderlineverhalten gab es auch keine Hinweise. Die Therapiestunden endeten mit einem Fragezeichen und dem Ergebnis „Ich weiß auch nicht was da bei ihnen los ist, sie sind sehr reflektiert, haben ihre Kindheit gut aufgearbeitet und scheinen Situationen auch gut analysieren zu können. Vielleicht sind sie einfach zu viel im Kopf. Gehen sie doch mehr in die Natur oder beginnen sie zu Tanzen!“

Diese Schleife: Arzt – Facharzt – Therapeut – kein Ergebnis wiederholte sich im Laufe der folgenden Jahre dreimal. 2009 bekam ich dann die Diagnose Hashimoto. Die Ärztin erklärte mir, dass meine Symptome durchaus daher kommen könnten und verschrieb mir ein Schilddrüsenmedikament. Es wurde nicht besser und die Schilddrüsenwerte bei jeder Untersuchung entweder in der kompletten Überfunktion oder Unterfunktion und da reichte eine Umstellung im Mikrogrammbereich. Nach 4 Jahren ist die Einstellung endlich gelungen. Meine vegetativen Auffälligkeiten sind jedoch immer noch da. „Wenn es schulmedizinisch nicht funktioniert“, dachte ich, „dann vielleicht mit Hilfe der Alternativmedizin!“ Es folgten Homöopathie, Akupunktur, Shiatsu und Qi Gong. Diese Therapien haben ein wenig Stabilisierung bewirkt, aber nicht den gewünschten Erfolg der weitgehenden Symptomfreiheit. Ein Jahr lang entschied ich mich für einen Exkurs in die Welt der Esoterik. Ich schreibe das bewusst so, weil es einen großen Unterschied zwischen Spiritualität/spiritueller Begleitung und dem „Ich heile dich, ich habe ein Wochenendseminar als Heilerin und Energetikerin absolviert und zum Abschluss eine Einweihung erhalten“ gibt. Ich ließ also mieses Karma beseitigen, Blockaden mit Edelsteinen auflösen, nahm völlig überdosierte Nahrungsergänzungsmittel und fragwürdige energetisierte Essenzen und merkte dabei gar nicht, wie sehr ich in eine Abhängigkeit geriet. „Wir haben noch nicht alles aufgelöst, das wird noch einige Zeit dauern!“ Es wurde mir suggeriert, dass nur ein „Berufener, Erleuchteter“ meinen „Zustand“ bereinigen kann, weil „ich selbst noch nicht soweit bin“. Ich habe einige Zeit gebraucht um zu merken, dass ich zunehmend meine Selbstverantwortung aufgab, meiner Intuition und meinen eigenen Selbstheilungskräften nicht mehr vertraute.

Rückblickend, habe ich die ganze Zeit an eine Milchmädchenrechnung geglaubt. Diagnose + Therapie = Heilung. Da es aber schon an der Diagnose gescheitert ist, habe ich an keine passende Therapie geglaubt und an Heilung war schon gar nicht zu denken. Im Jahr 2013 hat es dann einen weiteren Zusammenbruch gebraucht und ich beginne gerade meine Gleichung zu korrigieren: Persönlichkeit/Veranlagung + Selbstwahrnehmung/entsprechende Unterstützung + entsprechende Handlungen = bewusstes Leben

Wer muss sich eigentlich an wen anpassen? Gesellschaft, Umfeld, Freunde, Familie

Zwei Erkenntnisse empfinde ich als hilfreich:

  • AHA! Das strukturierte Schubladensystem ist zwar praktisch für Ärzte, Therapeuten und Krankenkassen aber weniger für das betroffene Individuum Mensch
  • Hm! Das kollektive Mangeldenken ist das Gift in der Suppe. Eine Diagnose beinhaltet einen „Nichtsollzustand“ – also die definierte Abweichung von einer Norm. Gemessen an dieser Norm, bin ich normal, oder eben nicht. Herausgehoben wird dabei, was einem Menschen fehlt. Es gibt aber keine Diagnose oder kein diagnostisches Interesse an einer Definition von Überfluss/Bereicherung/Ressource. Der Fokus liegt auf dem Mangel, der behoben werden muss. Und dieser Fokus in Bezug auf die Abweichung von einer Norm belastet. Mich zumindest. Es gibt zwar in der Gesellschaft „Weichmacher- Bestrebungen“, die aber meist mit einer verbalen Umdefinition enden und an der Haltung nichts ändern.

Ein Lösungsansatz

Ich bin zutiefst überzeugt, dass die Lösung unterschiedlichster „Probleme“ in der Aufhebung von Schubladen, Normdefinitionen, Bewertungen und Diagnosen mit Anpassungsziel liegen. Der Schlüssel liegt für mich darin, mich anzunehmen wie ich bin, mit der Bereitschaft das Beste zu geben, was ich kann und habe und dafür die Verantwortung zu übernehmen.

Ich habe diesbezüglich schon einmal einen Versuch gestartet. Ich hatte ein Projekt zu leiten. Für dieses Projekt hatte ich 7 Jobs zu vergeben, die unterschiedliche Anforderungen enthielten. Im Regelfall definiert man für die Erreichung eines Projektes ein Ziel, sucht das Personal nach den geforderten Fähigkeiten und Fertigkeiten aus und sagt den Menschen was sie zu tun haben. Ich habe für diese Projekt ein Hearing gemacht, den BewerberInnen ein ungefähres Ziel genannt und sie selbst definieren lassen, was sie genau einbringen können und möchten. Das Ergebnis war sensationell. Die BewerberInnen kreierten ihren eigenen Job selbst, fühlten sich für das Gewählte voll verantwortlich und konnten genau das einbringen, was sie sind und können. Ich habe noch nie so viel Kreativität erlebt – selbst das Ziel hat sich geändert, als im Tun und Wahrnehmen klar wurde, dass das im Kopf entstandene vordefinierte Ergebnis suboptimal gewesen ist. Das Projekt war ein sehr großer Erfolg.

Warum? Weil die handelnden Menschen keine Marionetten einer vorgegebenen Struktur mehr waren, weil die Förderung und Anerkennung der Individualität das beste Ergebnis liefert, weil die Menschen keiner vorgegebenen Norm entsprechen musste und sich ihren eigenen Ziele verpflichtet habe.

Wenn ich mit meiner Hochsensibilität im Leben diese Rahmenbedingungen hätte, würden meine sensitiven Eigenschaften als „Variante“ oder „Ressource“ erkannt werden, um etwas wahrzunehmen oder zu tun. Es bräuchte keine medizinische und therapeutische „Manipulation“, um geNORMt zu werden. Dieser Zugang wäre die Lösung für ganz viele „Probleme“. Endet das Defizitdenken, endet die NORM, das GeNORMtwerden, die Manipulation und der Druck zur Anpassung.

Wenn ich keine Konsequenzen, Schubladisierungen, Verurteilungen, Stigmatisierungen und schrägen Blicke fürchten muss – weil Manches außerhalb der (verlangten und erwarteten) Norm ist – darf ich mich zeigen wie ich bin, weil ich dann die Freiheit habe meine Ressourcen zu leben. Das bedingt aber ein Umfeld, das damit auch umgehen will.

Ein Beispiel aus meinem Teufelskreis: Ich arbeite im öffentlichen Dienst und dort im mittleren Management. Mein Aufgabenbereich entspricht zu einem großen Teil meinen Ressourcen. Wenn ich eine Dienstreise antreten muss, ist das für mich eine Katastrophe. In öffentlichen Verkehrsmitteln bekomme ich kaum Luft, in einem Seminarraum mit vielen Menschen fühle ich mich unwohl und werde nervös, muss ich einen Vortrag halten, zerreißt es mich innerlich, obwohl ich eine hochentwickelte Kommunikationsfähigkeit habe und grundsätzlich als ehemalige Lehrerin und Trainerin gut präsentieren kann. Beim gemeinsamen Essen sitze ich hungrig am Tisch. Ich bestelle das Essen mittlerweile mit der Begründung „Ich habe keinen Hunger!“ bereits im Vorfeld ab, da ich weiß, dass ich in dieser Anspannung nicht schlucken kann. Man merkt mir das aber nicht an, da ich mir in meinem Perfektionismus diese „Maske des Nichts-Anmerken-Lassens“ in jahrelanger Kleinstarbeit maßgenschneidert habe.

Nach meinem letzten Burnout habe ich mich im Leitungsteam geoutet. Ich habe mich gefühlt wie eine fehlplatzierte Psychostripperin. Die Resonanz war sehr ergreifend. Große Augen, hochgezogene Augenbrauen, Verständnislosigkeit. Nach dem „unangenehmen Tagesordnungspunkt“ ging sie Sitzung einfach weiter. Ich habe versucht mit einer Kollegin im Hintergrund einen Deal zu vereinbaren – sie übernimmt Dienstreisen, ich zeitliche unangenehme Dienste in der Firma. Mein Big Boss verschont mich still und heimlich durch planbare Dienstreiseneinteilungen, der Rest der KollegInnen belächelt dies und nimmt es sich auch gerne mal zum Spaß heraus mich in öffentlichen Sitzungen lächelnd explizit zu fragen, ob ich diese Reise denn nicht übernehmen möchte. Meine beiden Brüder sind trotz mehrmaliger Erklärungen stinksauer, dass ich sie nie besuchen kommen. Meine Mutter meint: „Reiß dich zusammen, der Weg aus der Angst führt durch die Angst. Das kann ja wohl nicht sein!“ und als mein Vater mich letztes Jahr nach dem Burnout in der REHA-Klinik besuchen kam, meinte er: „Mah, ich hätte auch gerne einmal Urlaub!“.

Ich habe jetzt vier Möglichkeiten:

  1. Maske wieder aufsetzen – durchgehen (wie die letzten Jahre) – wenn es zu viel wird: zusammenbrechen – wieder aufstehen – durchgehen …. Nö!
  2. Radikal das Umfeld wechseln: neuer Job, neue Eltern und Geschwister ….. Dazu mag ich meine Familie und meine Arbeit aber zu gerne 🙂
  3. Zu meinen „AbNORMitäten“ stehen und die Eisenbahn drüber fahren lasse … Oh ja bitte! … aber … die Harmonie, der Konflikt, das Einstehen für meine Bedürfnisse und (begrenzten) Möglichkeiten … Aua!
  4. Aus dem projizierten Mangeldenken heraustreten, gut bei sich bleiben, Kompromisse schließen, klare Entscheidungen treffen … Sehr vernünftig!

Was sind also mögliche Ziele einer Therapie/eines Coachings?

Jetzt bin ich also so weit gekommen, dass ich zur Selbstfindung keine pathologische Diagnose mehr brauche, mich auch von meinem Umfeld nicht mehr krank machen lasse, somit ist wohl erst der Weg für eine konstruktive Entwicklung frei. Den habe ich zwar erst begonnen, bin aber schon auf ein paar wichtige „Eigendiagnosen“ gestoßen:

  • Ich bin emotional sehr stark bei den emotionalen Geschichten und Ansichten anderer Menschen, suche Gerechtigkeit und Harmonie, investiere immens viel Energie dafür und erkenne dabei aber meine eigenen Grenzen nicht. Das passiert auch, wenn mich eine interessante Tätigkeit sehr einnimmt:

Auftrag: Grenzen erkennen lernen, Abgrenzen und rechtzeitig „NEIN!“ sagen

  • Wenn ich viel spüre und ich das aber nicht möchte, verstecke ich mich oder flüchte in andere Welten: Bücher, Filme, Fantasien, Internet, Schlafen. Wenn ich dem Jetzt gerade nicht entkomme und es mit zu viel wird, dann betäube ich mich: Kaffee, Zigaretten, und hin und wieder – wenn ich abends auswärts bin/sein muss – mit Alkohol:

Auftrag: Im Hier und Jetzt bleiben, Wahrnehmen und gesündere Lösungen finden

  • „Du verstehst mich nicht!“ Ich gehe manchmal davon aus, dass andere Menschen bestimmte Umstände auch so sehen und wahrnehmen müssen und finde es manchmal sehr ignorant, arrogant und kränkend, wenn das nicht so ist:

Auftrag: Erkennen und verstehen, dass nicht alle Menschen gleich intensiv wahrnehmen.

Und jetzt kommt das Wichtigste:

  • Ich kann mir folgende Frage nicht beantworten: „Was will ICH SELBST eigentlich so wirklich, wirklich?“ Was brauche eigentlich ICH SELBST, um wieder Kraft und Energie zu schöpfen? Uih, die Erkenntnis tut weh!

Auftrag: Mich selbst besser kennenlernen und ernst nehmen!

Wie könnte denn so eine Therapie/ein Coaching aussehen? Was wünsche ich mir?

Aus diesem, meinem Weg und den daraus gewonnen Erkenntnissen heraus, habe ich eine ganz gute Vorstellung, was für mich in einer Therapie/einem Coaching hilfreich ist. Und wahrscheinlich gibt es genauso viele Therapien, wie es Menschen gibt.

Ich wünsche mir einen Therapeuten/ eine Therapeutin oder Coach, der/die Hochsensibilität nicht als pathologisches Phänomen oder als eine Diagnose begreift. Ich bin aus meiner eigenen Biografie heraus überzeugt, dass Hochsensitivität eine Anlage ist, sowie andere Sinnesphänomene auch. Mein Sohn beispielsweise kann (genetisch bedingt) nicht riechen, hört jedoch in einem Frequenzbereich, den das menschliche Gehör im NORMalfall nicht hören kann. Es hilft in Bezug auf die Hochsensibilität also herzlich wenig, die Biografie des Unterbewusstseins in monatelanger Knochenarbeit nach traumatischen Erlebnissen in der Schwangerschaft, Geburt und frühen Kindheit zu durchforsten.

Der erste Schritt ist für mich das Begleiten oder Erarbeiten der Erkenntnis, dass es hier um keinen Mangel geht, der behoben werden muss, sondern um eine Anlage, eine Gabe, die herzlich Willkommen ist und einen würdevollen Platz im eigenen System erhalten darf. Diese Einladung ist wahrscheinlich nicht leicht auszusprechen und anzunehmen, aber notwendig!

Ich wünsche mir einen Therapeuten/ eine Therapeutin oder Coach, der mich in der Stärkung meines Selbstbewusstseins unterstützt. „So wie du bist, bist du ok!“, „Es ist in Ordnung, wenn du Rückzug brauchst!“, „Es ist in Ordnung, dass für dich bestimmte Situation deutlich belastender ist, als für viele andere Menschen!“, „Es ist in Ordnung, „NEIN!“ zu sagen!“, „Deine Wahrnehmung ist richtig!“, „Tiefsinnigkeit bedeutet nicht, kompliziert zu sein!“ – Um das Thema Hochsensibilität haben sich in mir eine Menge ungünstiger Glaubenssätze gebaut, die es aufzuspüren und zu konstruktivieren gilt.

Ganz wesentlich ist in diesem Zusammenhang die Frage: „Was brauchst du? Was stärkt dich? Was kannst du tun oder lassen um Kraft und Energie aufzutanken?“ Und an der Stelle darf mein(e) Therapeutin/mein Coach nicht verzweifeln, sondern muss geduldig dran bleiben ;-).

Ich wünsche mir einen Therapeuten/eine Therapeutin oder Coach, der/die meine Selbstwahrnehmung mit mir analysiert, übt und einzuordnen hilft. Ich, du und die Grenze. Was spürst du in dieser/jener Situation? Was davon gehört wirklich zu dir? Was gehört zu jemandem anderen? Wann genau merkst du Überforderung/Überreizung?“ Merkst du Grenzen und Überschreitungen? Dann, wenn sie schon überschritten ist? Währenddessen? Vorher? Und was tust du dann? Und wenn du über die Grenze gehst, warum? Was ist der heimliche Gewinn? Was willst du vermeiden?

Ich weiß, dass es für diesen Prozess sehr hilfreich ist, ein Tagebuch zu schreiben. Das ist für mich eine große Herausforderung, da ich oftmals nicht die nötige Disziplin dafür aufbringe – mir die Zeit zu nehmen und es dann auch wirklich zu tun. Auch das ist ein wichtiger Punkt! Ich bin in der Arbeit sehr genau und gewissenhaft, meine Wohnung ist nicht steril aber immer sauber und in Ordnung (auch wenn ich manchmal noch in der Nacht das Waschbecken putze, wenn ich es gerade für notwendig halte). Wenn mein Sohn etwas braucht, tue ich das, wenn ich um Hilfe gebeten werde, setze ich mich ohne zu überlegen ins Auto und fahre – immer! Wenn aber mein Körper um Hilfe ruft, wünsche ich mir, dass er einfach Ruhe gibt. In den Bereich „Ich sorge für mich“ gehört: gesunde Ernährung, das weitegehende Weglassen von Koffein, Nikotin und weißen Zucker, körperliche Bewegung, geregelter Tag- Nacht – Rhythmus! Und irgendein Persönlichkeitsanteil in mir hat mit diesen Auflagen keine – aber auch schon gar keine Freude! Ich rauche, trinke viel koffeinfreien Kaffee (ist auch nicht gesünder) und liebe Süßigkeiten! „Wir nehmen es hin unglücklich zu sein, aus Angst vor Veränderung!“ und Zerstörung von Gewohnheiten ist ein Geschenk. „Zerstörung ist eine Hilfestellung zum Wandel“, heißt es in einem meiner Lieblingsfilme (Eat, Pray, Love). Wie ich diesen Mechanismus knacken kann, weiß ich noch nicht!

Ich wünsche mir einen Therapeuten/eine Therapeutin oder Coach, der/die erkennt, dass das Phänomen Hochsensibilität für mich ein Bereich ist, den ich nicht nur auf der kognitiven, analytisch-reflektierenden Ebene bearbeiten kann. Ich weiß Vieles, kann es aber gar nicht mal so gut umsetzen! Hilfreich sind konkrete Übungen zur Körperwahrnehmung. Da ich mich die meiste Zeit in einer massiven körperlichen Anspannung befinde, sind auch Atemübungen und Entspannungsübungen sehr, sehr hilfreich. Unterstützend auch Massagen, Shiatsu, Akupunktur. Das geht halt nur, wenn das Budget dafür da ist – also nicht so oft! Es sei denn, die Krankenkassen erkennen, dass in vielem Prävention günstiger ist als die folgenden Akutbehandlungen und Ausfälle aufgrund von Krankenständen (aber das ist eine andere Geschichte). Manchmal finde ich auch Unterstützung, wenn ich meinen Körper mit der Kraft von Kräutern versorge: Melisse, Lavendel, Baldrian, Passiflora, Angelikawurzel.

Ich habe immer wieder versucht mit Visualisierungen zu arbeiten – Techniken aus dem Mentaltraining, die bei dem Thema Schutz und Abgrenzung im Grunde gut helfen. Das ist mir jedoch in den akuten Momenten noch nicht gut gelungen. Ich gehe davon aus, dass sich durch die lange Zeit der Überforderung, Überreizung und den vielen (Über-)Grenzgängen bereits ein Angstkreislauf in mir entwickelt hat. Schon hilfreich sind hingegen geführte Meditationen und Fantasiereisen in einer ruhigen Atmosphäre.

Von einer guten Therapie erwarte ich mir ein Stück Begleitung und Hilfestellung zur Selbsthilfe. Wenn es gelingt herauszuarbeiten, was die eigene Hochsensibilität für Chancen und Grenzen für den Klienten/die Klientin bietet und an welcher Schnittstelle bestimmte Denkmuster, Handlungen und Entwicklungen ungesund/schädlich werden, ist schon viel geschafft. Ein Therapeut/eine Therapeutin kann durch Gespräche sicher helfen, diese Muster zu erkennen und den Blick für diese Grenzen zu schärfen. Wie lange der Prozess dauert, bis die eigene Hochsensibilität erkannt, angenommen, von pathologischen Mustern abgegrenzt und eine adäquate Strategie aufgebaut werden kann, ist wohl sehr individuell und ich denke auch nicht, dass dieser Prozess statisch ist – zwei Schritte nach vor und einer zurück! Ich glaube, dass nach nicht alle diese Schritte therapeutisch begleitet werden müssen. Ich bin schnell im Erkennen, aber extrem therapieresistent in der Umsetzung gesundheitsfördernder Muster. Bei anderen ist der Prozess des Erkennens die Geburt in ein besseres Leben. Und dann kommt es natürlich auch noch auf den Therapeuten und seine/ihre Lieblingsdiagnose/Spezialgebiet an ;-).

Ich würde mich an einen Therapeuten/eine Therapeutin wenden, die sich mit dem Thema Hochsensibilität bereits beschäftigt hat und nicht ausschließlich mit der Methode der klientInnenzentrierten Therapie arbeitet. Ich glaube, dass ein ausgewogener Mix aus verbaler Analyse, kreativer Gestaltung und Körperarbeit gut ist.

Dieses Thema wäre wahrscheinlich auch sehr gut in einer Praxisgemeinschaft aufgehoben, die mit unterschiedlichen Ansätzen arbeiten. Weiter habe ich mir überlegt, ob die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe auch eine Möglichkeit darstellt. Habe jedoch bei meinem Reha-Aufenthalt die Erfahrung gemacht, dass ich danach noch belasteter gewesen bin. Ganz kritisch finde ich Chatgruppen im Internet, die unbegleitet und unmoderiert oftmals mehr Verunsicherung als Stärkung verursachen.